#47 WIE GEHE ICH MIT DEN ÄNGSTEN MEINER MITARBEITER UM?

Wie gehe ich mit den Ängsten meiner Mitarbeiter um? - René Wasmund - L3 Coaching

Wie gehst Du am besten mit den Ängsten Deiner Mitarbeiter um?

Was kannst Du tun, wenn Ängste bei Mitarbeitern wirklich akut werden und woran erkennst Du, dass es Ängste sind, die ein Verhalten auslösen?

Angststörungen kommen viel häufiger vor, als man es annehmen könnte. In den USA sind beispielsweise 40 Millionen Menschen, die älter sind als 18 Jahre, davon betroffen.

Bei ca. 130 Millionen Vollzeit-Beschäftigten in den USA ist die Wahrscheinlichkeit für jeden Mitarbeiter in einem Unternehmen groß, dass er unmittelbar mit jemandem zusammenarbeitet, der in irgendeiner Form an Angstzuständen leidet. In Mitteleuropa dürften die Zahlen ganz ähnlich aussehen.

Also könnte es Sinn machen, sich mit Ängsten etwas näher auseinanderzusetzen.

Woran kann ich erkennen, dass Angst aus dem Ruder läuft?

Bedrohlich kann die Angst werden, sobald die Einwirkung von Stress eine hochgradig negative Form annimmt, also bewährte Strategien und Routinen nicht mehr helfen, Stress ausreichend abzubauen (z.B. Spaziergänge, Sport, Lesen oder Meditieren) UND nach und nach Beeinträchtigungen in allen Lebensbereichen auftreten (z.B. Konzentrationsschwierigkeiten, Schlafstörungen, sozialer Rückzug)

Worauf sollte ich achten?

Ängste sind von außen nur schwer zu erkennen, weil sie sich überwiegend in der Gedankenwelt abspielen.

Unkontrollierbare Sorge oder Reizbarkeit, die Unfähigkeit, sich zu fokussieren oder zu konzentrieren, sowie körperliche Unruhe, zum Beispiel rastloses Hin- und Herlaufen oder sichtbare Nervosität, können Zugangshinweise für eskalierende Angst sein.

Betroffene können auch so etwas wie einen starren Tunnelblick ausprägen und immer wieder auf eine bestimmte Sorge zurückkommen, über die längst schon gesprochen wurde oder die bei äußerer Betrachtung eher leicht auszuräumen wäre.

Angst führt auch vielfach zu einem verminderten oder überhöhten Kontrollbedürfnis.

Menschen mit reduziertem Kontrollvermögen können apathisch, aber auch desorganisiert erscheinen. Ihr Verhalten wirkt teilweise konfus, ineffizient und alles andere als zielorientiert, sodass Sie vielleicht denken: „Was macht er oder sie denn da?“

Übersteigertes Kontrollbedürfnis kann sich durch Mikromanagement äußern, durch Unnachgiebigkeit, übertriebene Wachsamkeit oder dadurch, dass jemand darauf beharrt, es gebe nur eine Art, die Dinge zu erledigen.

Bisweilen stürzen sich Menschen in diesen Situationen besonders stark und detailorientiert in die Arbeit – weil sie sich in diesem Rahmen gut fühlen und er ihnen das Gefühl gibt, ihr Leben unter Kontrolle zu haben.

Im beruflichen Kontext ist das solange okay, wie es andere Mitarbeiter nicht beeinträchtigt.

Es ist auch völlig okay, sich auf die Arbeit zu fokussieren, um sich gut zu fühlen. Wird die Arbeit aber zum einzigen Fokus – vor allem wenn Gesundheit oder persönliche Beziehungen Schaden nehmen –, ist die Grenze zu ungesunder Überkontrolle überschritten.

Momentan hat fast jeder einen etwas erhöhten Angst- oder Nervositätspegel. Wie lässt sich das von schwerwiegenderen Problemen unterscheiden?

Wenn jemand überängstlich erscheint, kann es dafür gute Gründe geben. Urteile nicht vorschnell, sondern vergrößere zunächst einmal Deinen eigenen Akzeptanzrahmen. Wir kennen die privaten und beruflichen Hintergründe von Betroffenen meist nicht sehr gut – da kann es schwerwiegende Krankheitsverläufe, existenzielle finanzielle Sorgen oder Vorerkrankungen gegeben haben, die Menschen einen anderen Blick auf ein und dieselbe Situation entwickeln lassen.

 

Was ist für Menschen hilfreich, die mit starken Ängsten umgehen müssen?

Platte Sprüche, wie z.B. „Hast du es schon mal mit Bewegung oder Vitamin D versucht?“, machen es nur schlimmer, weil sie dem Betroffenen das Gefühl geben, die einfachsten Wege aus der Angst nicht zu sehen. Wenig hilfreich sind auch Ansagen wie „Das ist doch kein Grund, Angst zu haben“ oder „Machen Sie sich keine Sorgen“. – wenn es so einfach wäre, hätte der Betroffene es längst gemacht.

Das Beste, was Du tun kannst, ist dem Betroffenen das Gefühl zu geben, ihn ernst zu nehmen. Dafür reicht es auch, ihm einfach zuzuhören. Vielfach geht es gar nicht darum, sofort Lösungen oder Veränderungen zu finden, sondern einfach jemanden zu haben, der zuhört, um zu verstehen und einem nicht gleich mit seinen Themen ins Wort fällt.

Es kann hilfreich sein und wertet die Ängste Deines Gegenübers nicht ab, wenn Du ihn inspirierst, ein paar Schritte zu planen, um etwas mehr Sicherheit auf dem Weg zu erlangen. Gib dabei am Besten keinerlei Ratschläge, sondern stelle Fragen, die Deinen Gesprächspartner inspirieren, weiter zu denken.

Was kann ich tun, wenn ein Mitarbeiter eine Panikattacke hat?

Ganz wichtig: Verschone Deinen Mitarbeiter mit Fragen und rede nicht aufgeregt auf ihn ein – das bedeutet nur noch mehr Stress.

Bleib´ so ruhig, wie es geht und leite Deinen Mitarbeiter an, tief und langsam zu atmen. Eine zu schnelle Atmung kann die Panikattacke noch verschlimmern.

Lass´ Deinen Mitarbeiter beim Einatmen bis sechs und beim Ausatmen bis zehn zählen. Diese Methode macht sich eine natürliche Körperfunktion namens respiratorische Sinusarrhythmie zunutze, der zufolge das Herz beim Einatmen schneller schlägt als beim Ausatmen. Wenn man länger aus- als einatmet, verlangsamt dies nach einer Weile die Herzfrequenz, was das ganze System schon nach kurzer Zeit beruhigt.

Was ist zu tun, wenn die Leistung eines Mitarbeiters durch Angstzustände dauerhaft herabgesetzt ist?

Als Vorgesetzter darfst Du keine persönlichen Gesundheitsinformationen abfragen. Aber Du kannst durchaus Verhaltensweisen ansprechen – gerade, wenn es um nicht eingehaltene Fristen oder Verzögerungen in Projekten geht.

Sprich Deine Feststellungen dabei offen, wertschätzend und unmissverständlich an. Frage nach, was Dein Gesprächspartner Deine Aussagen auffasst und welche Information über sich selbst er wahrgenommen hat. Das vermeidet Missverständnisse und das typische „Aneinander-vorbei-reden“.

Eine mögliche Formulierung wäre zum Beispiel: „Ich weiß, dass es seit einer Weile wirklich stressig ist und große Unsicherheit herrscht. Es ist nicht Ihre Art, Termine zu reißen, deshalb möchte ich nachfragen, was es im Moment braucht, damit es Ihnen leichter fällt, Zwischenziele zu erreichen. Ich möchte sichergehen, dass Sie alles haben, was Sie brauchen.“

Wie kann ich als Leader mitbekommen, wenn ein Mitarbeiter im Homeoffice einen hohen Angstpegel hat, ohne aufdringlich zu wirken oder seine Privatsphäre zu verletzen?

Ohne persönlichen Kontakt ist es natürlich schwieriger, Ängste sicher zu identifizieren.

Es könnte hilfreich sein, Deinen Mitarbeiter zu fragen, wie es ihm wirklich geht und wie Du ihn unterstützen kannst.

Wenn Du die Antwort bekommst: „Alles gut“, hake das Gespräch nicht einfach ab. Zeige stattdessen Flexibilität und Offenheit: „Wenn sich da etwas ändert, lass´ es mich bitte wissen. Ich frage in den kommenden Wochen noch mal nach“.

Alles, was Dich zu einem inspirierenden Mitmenschen und Leader macht – Aufrichtigkeit, Flexibilität, ehrliches Interesse am anderen –, trägt in diesen schwierigen Zeiten auch dazu bei, dass Du Deinen Mitarbeitern Sicherheit und Orientierung geben kannst.